Das Sulinger Kreuz1

Strecke 219b: Nienburg (Weser) - Uchte - Rahden

Die Kursbuchstrecke 219b Nienburg-Uchte-Rahden ist keine Strecke des Sulinger Kreuzes, jedoch ist sie sowohl an ihrem Anfangs- als auch an ihrem Endpunkt mit einer Strecke des Sulinger Kreuzes verbunden. Die Strecke wurde 1910 eröffnet. Sie führt bei Nienburg über die Eisenbahn-Weserbrücke und biegt westlich der Brücke am “Block Lohe” bei Marklohe - wo die Strecke Nienburg-Sulingen-Diepholz über eine Weiche abzweigt - nach Süden ab. Von dort führte sie ursprünglich fast 60 km weit über Liebenau, Steyerberg und Uchte nach Rahden, wo sie an die Strecke Bassum-Rahden-Bünde des Sulinger Kreuzes anschloß. Die Strecke Nienburg-Uchte-Rahden führt entlang dünn besiedeltem Moorgebiet. Im Güterverkehr dürften außer militärischen Gütern überwiegend landwirtschaftliche Güter, Holz und Torf eine Rolle gespielt haben. Die Bedeutung des Personenverkehrs auf der Strecke war gering. Mitte der 1960er Jahre fuhr im Personenverkehr an Werktagen nur noch ein einziges Schienenbus-Paar, die Haltepunkte Tonnenheide, Hahnenkamp, Bohnhorst, Wellie, Binnen-Bühren und Oyle waren bereits aufgehoben (Kursbuch Winter 1963/64). 1968 wurde der Personenverkehr eingestellt. 1970 folgte zwischen Steyerberg und Uchte die Stillegung und Entwidmung, und dem folgend schließlich der Verkauf der Flurstücke und die komplette Entfernung des Gleiskörpers. Später wurde auch das kurze Stück zwischen Steyerberg und Liebenau entwidmet. Die durchgehende Verbindung ist unwiderruflich für alle Zeit unterbrochen.

Ende 1996 legte die Deutsche Bahn auch das Teilstück Uchte-Rahden still. Die Entwidmung und Entfernung des Gleiskörpers dieses Streckenteilstückes konnte jedoch mit der Ãœbernahme der Strecke zwecks Museumsbahnbetriebes durch die Anliegergemeinden Rahden und Uchte in Erbpacht verhindert werden. Eisenbahn-Infrastrukturunternehmen wurde die Bonner “Rhein-Sieg-Eisenbahn”.  Bereits seit 1991 war die Strecke von der MEM-Gruppe Rahden (heute Museumseisenbahn Rahden-Uchte e.V.) an mehreren Tagen pro Jahr befahren worden.

Der Bahnhof Uchte war früher ein kleiner Eisenbahnknotenpunkt. Hier hatten zwei Privatbahnen, die schon vor dem Bau der Reichsbahnstrecke Nienburg-Uchte-Rahden bestanden, Anschluß an das Reichs- bzw. Bundesbahnnetz, nämlich die Strecken Uchte-Petershagen-Minden der “Mindener Kreisbahn” und die schmalspurige Strecke Uchte-Loccum-Wunstorf der “Steinhuder Meerbahn”. Von letzterer wurde der Abschnitt Uchte-Rehburg bereits 1935 stillgelegt und entwidmet. Der Betrieb auf der Strecke der Mindener Kreisbahn wurde 1973 eingestellt, sie verschwand Ende der 70er Jahre.

Eine sehr große Bedeutung hatte ab 1939 der Gleisanschluß bei Liebenau an die “Eibia GmbH Anlage Karl”, einer der größten Explosivstoff-Fabriken des Zweiten Weltkrieges in Deutschland. Man kann davon ausgehen, daß die Bahnstrecke 219b dadurch in beide Richtungen eine besondere strategische Bedeutung hatte. Das noch heute eingezäunte und absolut unzugängliche Areal hat eine Größe von ca. 13 Quadratkilometern und ein eigenes Eisenbahnnetz, auf dem im Zweiten Weltkrieg werkseigene Lokomotiven im Einsatz waren: zwei Dampfloks, zwei Dieselloks und zwei Dampfspeicherloks. Eigens für den Kohlebedarf der werkseigenen Kraftwerke der Explosivstoff-Fabrik wurde in Liebenau an der Weser ein kleiner Binnenhafen mit Gleisanschluß gebaut. In der "Anlage Karl" wurde bis Anfang der 1990er Jahre Explosivstoff bzw. Munition  produziert, während des Zweiten Weltkrieg von der “Eibia” mit insgesamt mehreren Tausend Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen, nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst von der "Dynamit Nobel", später von der holländischen "Eurometaal". Daneben befanden sich militärische Munitionsdepos, darunter auch eines mit Atomwaffen. In den 50er und 60er Jahren wurde der Gleisanschluß auch für das Lkw- und Panzerinstandhaltungswerk der Britischen Armee am Eibia-Gelände genutzt. Nach der Wende und der Schließung der "Eurometaal" im Jahre 1994 wurde auch die gesamte militärische Nutzung aufgegeben, und das Gebiet als ziviles Industriegebiet ausgewiesen. Nennenswerte Pächter oder gar Käufer fanden sich für das hoch-problematische Waldgelände bis heute (2016) nicht. Der Gleisanschluß wird heute für ein großes rein ziviles Chemiewerk am Südrand des Eibia-Geländes bei Steyerberg genutzt. Damit ist das Streckenteilstück Nienburg-Liebenau noch in Betrieb.

Abgesehen von der Funktion als Industriezubringer Nienburg-Liebenau sind heute die seltenen Museumszüge der Museumsbahn Rahden-Uchte die einzige verbliebene Nutzung der Strecke 219b. Eine Reaktivierung der durchgehenden Verbindung ist nicht mehr möglich, weil das Teilstück Uchte-Steyerberg-Liebenau bereits entwidmet und abgebaut worden ist. Da der Nordabschnitt Nienburg-Liebenau-Eibia der Strecke aber noch von Güterzügen befahren wird, wäre auch hier eine Mitnutzung durch touristische (Museums-)Sonderzüge an besonderen Tagen, etwa mit Besichtigungen auf dem Eibia-Gelände von Nienburg aus technisch und theoretisch zumindest denkbar.

  

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Bahnhof Lemke in den 1970er Jahren. Von hier aus fand auch nach der Stillegung des Personenverkehrs und der durchgehenden Verbindung noch Triebwagen-Personenverkehr als Straßen-Ersatzverkehr nach Nienburg während der winterlichen Hochwasser der Weser statt, da die Eisenbahnbrücke der Strecke 219b bei starkem Hochwasser die einzige passierbare Verbindung von Westen nach Nienburg war. Der Ersatzverkehr erübrigte sich nach dem Bau der Nienburger Umgehungsstraße in den 80er Jahren; der Bahnhof Lemke wurde verkauft.

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Die große Eisenbahnbrücke der Strecke 219b über die Weser wurde von der Strecke 219a (Diepholz-Sulingen-Nienburg) mitgenutzt. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Brücke zerstört. Erst im Jahre 1955 war sie wiederaufgebaut. Bis dahin war die durchgehende Verbindung beider Strecken nach Nienburg unterbrochen. Seit 1997 wird die gewaltige Brücke ausschließlich nur noch als Industriezubringer des Chemiewerkes in Steyerberg über Liebenau genutzt (Foto von 2007). 

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Bahnhof Uchte mit Triebwagen VT 98 der Museumseisenbahn Rahden-Uchte. Blickrichtung Liebenau (Foto von 2006).

 

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Zug der Museumseisenbahn Rahden-Uchte e.V. am Bahnhof Lavelsloh-Diepenau am 29.05.2016. Blickrichtung Rahden.

 

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Die Brücke des Anschlußgleises der Strecke 219b über die Aue bei Liebenau zum Sperrgebiet der ehemaligen Explosivstoff-Fabrik “Eibia”.

 

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Das Viadukt über das Wesertal bei Nienburg ist Teil der Strecke 219b. Die Strecke 219a mündete westlich des Tales bei Marklohe in die Strecke 219b ein. Der Tankzug ist auf dem Weg von Nienburg über Liebenau zur Chemiefabrik Steyerberg (Foto vom 08.05.2016) .

 

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Blick durch die Stahlstäbe des Einfahr-Tores auf das Eibia-Gelände. Im Hintergrund erkennt man das Gemäuer des 30.000 t fassenden Kohlebunkers. Durch den starken Zoom ist die Steigung der Bahnstrecke überdeutlich zu sehen. Sie macht heute den schweren Tankzügen für das zivile Steyerberger Chemiewerk manchmal zu schaffen (Foto von 2012).

Eine Übersichtskarte mit dem Eisenbahnnetz auf dem Eibia-Gelände unter opentopomap (externer Link, das Laden dauert einige Sekunden).

 

Daten zur Strecke 219b: Nienburg-Uchte-Rahden

Status: Nebenbahn, eingleisig, nicht elektrifiziert, Länge 58,8 km

Inbetriebnahme: 15.01.1910 (Nienburg-Uchte-Rahden)

Personenverkehr-Ende: 29.09.1968 (Nienburg-Uchte-Rahden)

Gesamtverkehr-Ende: ??? (Steyerberg-Uchte), ??? (Uchte-Rahden), 29.05.1994 (Liebenau-Steyerberg)

Stillegung: 1970 (Steyerberg-Uchte), 31.12.1996 (Uchte-Rahden, Weiterbetrieb als Museumsbahn), 01.01.1995 (Liebenau-Steyerberg)

Entwidmung: 1970 (Steyerberg-Uchte), 1996 (Liebenau-Steyerberg)

 

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